Nordatlantik Teil 2: Flauten, Sturm und Delfine

Am Morgen des 10. Tages verließen wir die Flaute: „Wir segeln! Endlich ist der Motor aus und wir machen ordentlich Fahrt.“ Wie angesagt kam der Wind von achtern und wir bäumten die Genua aus. „und das Passatfeeling setzt ein:)“ Ansonsten haben wir nach Tausend Meilen jetzt Mal Verschleiß: „Leider wurde der Spibaum beim ausbauen mal wieder beschädigt. Scheint, als segelt oder bricht er sich langsam aber sicher auseinander. Ein Provisorium konnte Selbstverständlich helfen.(…) Das begossen wir mit einen kühlen Hülse und vergaßen dabei, wie üblich, das telefonieren oder eher die Zeit, die sich bei uns ja ständig ändert.“


Nun wurde das Wetter ganz schön unstetig: „Iiihhhh überall um uns herum Regenwolken.Wir kommen dem grauen regnerischem Norden wohl immer näher. Die kühle, frische Morgenluft tut aber sehr gut. Nachts war es unglaublich feucht(>80%) Andiamo glich einer Tropfsteinhöhle, wo man nicht saß, war es nass! Das Barometer fällt langsam. Morgen früh sollte es ungemütlich werden. Der Himmel zieht sich langsam zu und von hinten Türmen sich große Wolkenmassen auf. Sieht fantastisch aus!“ „Nanu?! Wolken wieder weg…“


Tatsächlich war der Morgen des 12 Tages auf hoher See leicht anstrengend: L.: "Gewitter rings herum, habe die kleine Fock angeschlagen und das 2. Reff eingebunden. Sitze draußen und beobachte. Hoffe wir kriegen nichts ab“ V.: "L. Weckt mich, dabei hatte ich kaum geschlafen, sondern wurde nur von einer Seite auf die anderer geworfen. Kaum wach flaute der Wind ab und dreht um 30°. Ich probiere den Gewittern auszuweichen, aber die lauen, wechselhaften Winde lassen einen kaum manövrieren. Ich mache die Schotten dicht und sitze es aus. Elektrik ist vorsichtshalber abgeschaltet. Gewitter ziehen links, rechts und vor uns durch. Glück gehabt. Ich warte jetzt, dass es aufklart und sich der Wind einpendelt.“ Das tragischste war, dass wir unsere letzten vier Eier verloren hatten. Aber immerhin rasten wir nach dem Gewitter los und erreichten ein Etmal von 143,8sm.


Der 13. Tag auf See holte aus Lennart den abergläubischen Segler raus, er wurde nachdenklich: „Bin momentan hin und hergerissen. Meine Neugier und die Lust des Entdeckens ziehen mich zu den Azoren. Der Ehrgeiz wiederum, verfolgt die klare Linie so lange nonstop wie möglich zu segeln. Frage mich nur, ob das Sinn der Reise ist.“
Wir machten auch einen Fehler bei der Navigation: In Erwartung eines Winddrehers machten wir zu viel Strecke nach Norden. Dort kamen wir direkt in die Ausläufer eines Großen Tiefdruckgebiets mit über 60 Knoten in seinem Zentrum: „ Es klart nochmal kurz auf. Jetzt sieht man die Front, die sich uns bedrohlich nähert. Und los geht es. Mit einer Bö geht es von 3 auf 5 Bft. Mit der nächsten auf 6. Reffe das Groß ganz durch und schlage auf Sturmfock um."


Den darauffolgenden Tag hatten wir zwischen 5 und 8 Windstärken. Die liefen wir im 3. Reff und mit ausgebauter Stumfock ab um dem näher kommenden Zentrum zu entfliehen. „Andiamo rennt, vielleicht etwas zu schnell. Das Tief hängt uns sicher noch bis morgen Abend an den Hacken. Riesen Wellen Türmen sich hinter Andiamo auf. Glücklicherweise brechen sie sich noch nicht zu stark. Andiamo macht das Klasse!“ 


Den 15. Tag knallte es nochmal ordentlich: „Der Wind hat jetzt in Böen Sturmstärke erreicht. Sind 2 Mal quergeschlagen und 2 Mal stieg ein Brecher ins Cockpit ein. (…) So weit so gut, jedoch brach nun unser Flexschlauch, der als Petroleumzulauf vom Tank zum Kocher diente. Zu all dem noch direkt am Ende, an der Pressung.(…) Ein Flicken scheint mir nicht möglich.“ V.: „Zuerst geweckt von Welle, die in meine Koje einstieg. Das Wasser stand auf meinem Kopfkissen. Später schäucht Lennart mich auf, weil die Elektrik unter mir wohl was abbekommen hat und schmort. Wie trocknet man was, wenn alles feucht ist?“ „Noch eine Woche bis zu den Azoren und das ohne Kocher. Da habe ich gar keine Lust drauf. Probiere den Schlauch zu flicken.“ Der Pfusch hält dicht, vorerst. Mit dem negativen Dreher, der das Ende des Tiefs einläutete, gingen wir wieder auf Kurs Azoren.  Zwei volle Tage Starkwind, das war anstrengend, aber Andiamo hat sich von der besten Seite gezeigt. Die Windfahne auch, die bis zu 6 Meter hohen Wellen und Böen mit etwas über 41 Knoten gut stand hielt. Auf einem Surf erreichten wir einen neuen Topspeed von 17,3 Knoten. Genial.


Tag 16 war ein Sonntag. Zuerst kämpfen wir uns mit wenig Wind und der alten Dünung rum, aber die lässt schließlich nach, Delfine zeigen sich erstmals und das Langfahrtleben normalisierte sich:„ Heute war ein richtiger Sonntag. Eigentlich haben wir nur gechillt, geschnackt und gegessen. Warm gegessen! Das Provisorium hält dicht. Es gab Pasta. Das ganze wurde dann mit Cuba begossen, also nicht die Nudeln, sondern den Sturm hinter uns zu haben. Wir packten die Sturmfock weg und segeln mit Vollzeug vor dem Wind. Traumhaft!  Die Sonne wärmt schön und wir trocknen alle Sachen im Cockpit. Ich habe mich auch gewaschen: Fuck ist das kalt! Trotzdem ein toller Tag. Da gab es auch gleich noch einen Gin und ein Grog…natürlich in seemännisch vertretbaren Abständen.“


Die nächsten Tage waren sehr ruhig: „Tag 17: Joa, gibt nicht viel zu sagen. Bei der Mittagsposition stelle ich fest, dass wir jetzt fast genau die Hälfte der Strecke nach Falmouth hinter uns haben. Schade dass wir jetzt auf den Azoren anhalten müssen.“ Wir hatten uns inzwischen dazu entschieden, weil wir auch beim dritten Versuch, den Schlauch immer nur für zwei Tage dich bekamen. Gerade in den vor uns liegenden kälteren Regionen wollten wir keinen falls auf den Kocher verzichten. Über Satellit hatten wir schon ein entsprechendes Ersatzteil zu den Azoren bestellt. Unsere Meinung über den nun einzulegenden „Zwangsstop“ änderte sich ständig: „Wird bestimmt interessant, wir  wissen ja gar nichts von den Azoren.“ Ansonsten genießen wir unser Leben nach den entbehrungsreichen Tagen des Tiefs um so mehr: „Abends helfen wir uns zwei Bier rein. Warum? Einfach so, einfach machen! Das Leben ist wie üblich feucht-fröhlich(nachts), unbeschwert, aber heute grau und wolkig.“ „Nun hat die Flaute eingesetzt. Schade! Brumm, brumm, wir fahren um die Azoren herum! - nicht :/„ 


Um 12 Uhr des 18. Tages auf See hatten wir „exakt“ 2000,0 Meilen hinter uns. Die AÜ von den Kap Verden bis Barbados wäre jetzt so gut wie vorüber, auch damals hatten wir knapp 18 Tage gebraucht. Wir liegen derweil mitten in einem Sonnigen hoch und vergessen fast, dass wir auf hoher See sind: „Können einen Film gucken & das Tablet steht derweil einfach so auf dem Salontisch.!“ Ich kämpfe mal wieder mit dem störrischem Kocherschlauch. Auf keinen Fall will ich die ganze Zeit nur Müsli und Knäcke essen. 


An Tag 19 wacht L. etwa zum 5. Mal der Nacht verschreckt auf: „Man, Man, irgendwie schlafe ich die letzten Nähte ganz unruhig. Ich wache mehrmals schreckhaft auf  und denke, dass ich gerade Wache habe, aber ungewollt eingeschlafen bin. Schaue dann immer sofort auf die Uhr, dann den Kurs und letztendlich merke ich, wie Vale durch die Gegend schwirrt. Erleichterndes Gefühl, jedoch keine schöne Situation und vorallem kein erholsamer Schlaf. Bin deshalb in meiner Wache sehr müde und versuche Schlaf in kurzen Intervallen nach zu holen.“ Mitten im Azorenhoch schlagen wir unsere bessere Genua an und starten den Motor. Den fehlenden Wind vergessen wir fast, während wir uns den ganzen Mittag damit beschäftigen Pizza in der Pfanne zu braten.


Tag 20 ist Tag der Delfine. Von morgens bis Abends wurden wir von immer wieder neuen Delfinschulen begleitet. „Eine Sogar mit einem ganz kleinen dabei“ Das ist natürlich schön, aber: „Leider Motoren wir schon eine Weile und wie es aussieht auch noch bis nach Horta. Diesel ist noch reichlich da.“ Wegen all der Vögel und Delfine denke ich darüber nach, ob es Fischreich sei: „Wir angeln nicht mehr. Es gibt zwar kaum noch Krautaale, aber dafür jede Menge Portugiesische Galeeren, deren giftige, blaue Tentakeln am Haken hängen.“ Dann bricht in Deutschland Panik aus: Während ich Mittagsschlaf mache sitzt L. Auf dem Bug und liest und liest und vergisst sich zu melden. Die armen Daheimgebliebenen. 


Tag 21: „ Land in Sicht!“ 75 Meilen vor Faial sehen wir den Pico. Zäh zieht sich der Tag hin, während wir weiter auf den Vulcan zuhalten und auf Handyempfang warten. Dann ging es los. Mehrere Stunden Büroarbeit fielen an, all die Nachrichten, Anfragen und Infos zu lesen und gegebenenfalls zu beantworten. Und so kamen wir abends in den Hafen von Horta. Dort wurde uns gleich von einem netten Guard ein Platz an der Kai zugewiesen und man sagte uns wo wir Gin Tonic trinken gehen sollten. Kaum vertäut, saßen wir auch schon im Cockpit um ein Anleger zu genießen. Noch bevor eingeschenkt war kam auch schon jemand im Dinghy längsseits. Doch das ist eine andere Geschichte.


Wir hatten mal wieder eine unglaublich spannende Reise hinter uns: 2402,6 Seemeilen, die wir in 21 Tagen absolviert hatten. Von der Zeit waren wir 134 Stunden mit Hilfe der Maschine gefahren, was uns so etwa 100l Diesel kostete. Wir hatten  von vollkommender Flaute mit spiegelglattem Wasser bis hin zu 6 Meter Wellen und Böen mit Sturmstärke so ziemlich alles erlebt. Wir trafen Segelboote, Tanker, Delfine, Quallen, Vögel und jede Menge Kraut sowie Plastikmüll. Wir waren zu zweit allein auf dem großen Nordatlantik und wir haben es genossen. Die Passage West-Ost mag manchen Kopfzerbrechen bereiten. Die Tiefdruckgebiete, Flauten, Treibeis, Kraut und verschiedene Routen. All das gibt es. Man kann es nicht voraussehen und trotzdem war diese Überquerung genauso wie angenommen: Hoch am Passat, Flaute, Wechselnde Winde, Tiefdruckgebiete/Westwind, Azorenhoch. Die Strecke ist herausfordernd, ja! Man muss mit allem rechnen, aber man wird auch alles bekommen. Eine unglaubliche Vielfalt konnten wir erleben und das macht uns glücklich. Diese Erfahrung kann niemand, der das liest, so richtig erfassen, es sei denn, es wurde selbst erlebt. Nur dann kann man nachvollziehen, wie es ist, sein Schiff, hin und zurück über den Atlantik zu segeln. Es erfüllt uns mit Stolz und Freude unseren Namen auf Hortas legendären Mauern zu verewigen. !Andiamo!

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