Stralsund: Zehn Monate Vorbereitung Teil 2


Mit dem Frühjahr kam der Tag der Abfahrt bedenklich näher. Eine harte Zeit begann. Lennart, der nach der 12. Klasse vom Fachgymnasium gegangen war, arbeitete inzwischen Vollzeit bei Dominos. Auch ich lieferte dort als Minijobber Pizza aus. Das war Klasse. Wir hatten ein nettes Team, konnten alle unsere Pakete dorthin liefern lassen und vor allem die Arbeitszeiten selbst festlegen. So konnten wir also Nachts arbeiten und Tagsüber auf dem Dänholm am Boot sein, oder eben in der Schule, ich kam ja langsam in die finale Phase des Abiturs. Das war ganz schön viel auf einmal. Und dazu kam noch, das wir die Melges 24 vom Verein, auf den Weltmeisterschaften in Helsinki zu einem wirtschaftlichen Totalschaden gefahren hatten. Wir mussten also nebenbei auch noch die alte Melges, die wir gerne zu Trainigszwecken behalten und somit reparieren wollten und Sponsoren für eine neue konkurrenzfähige zu finden. Freie Zeit gab es also praktisch nicht und trotzdem wollte man ja auch noch Zeit mit Freunden und der Familie verbringen.



Lagen wir in dem nicht vorhandenem Zeitplan? Wohl kaum und hatten wir uns auch immer mehr Wissen angelesen und unsere Aufgabenliste für unser Schiff wurde eher länger als kürzer und das, obwohl wir alles so einfach wie möglich halten wollten. Das lernten wir von einem erfahrenem Weltumseglerpaar, die sich für den Vorbesitzer, um sein Schiff gekümmert hatten. Ihren Kontakt hatten wir bekommen und uns einfach mal mit ihnen getroffen. Uns faszinierte sofort, wie sympathisch und einfach gestrickt sie waren. Von ihnen wurden wir an den Trans-Ocean  e.V. herangeführt. Also wurde aus Kostengründen (nur) Lennart Mitglied und wir besuchten das Losseglertreffen. Da waren lauter Leute, die in der nächsten Zeit irgendwo durch die Weltgeschichte segeln wollen. Von den ganzen Vorträgen zu Häfen und ähnlichem nahmen wir wenig mit. Wir erlaubten uns aber einen großen Lacher als es ums monatliche Budget ging, der unseres weit überragte. Man beruhigte uns, alles sei möglich. Was uns eher in Erinnerung blieb, waren der gesellige Schnack mit den Seglern, die uns alle ihre Unterstützung anboten und die allerletzte Folie eines Vortrags: SEGELT LOS! Zu viele bleiben bei der Vorbereitung hängen, werden einfach nicht „fertig“ und belegen ein Seminar nach dem anderen. Das sollte uns nicht passieren. Das „perfekte“ Schiff gibt es nicht und die Arbeit daran endet sowieso nie. 


Wir setzten also Prioritäten und arbeiteten Stück für Stück ab, was wir noch besorgen oder bauen mussten. Für den Geräteträger holten wir uns nicht Mal einen kosten Voranschlag, zu utopisch die Vorstellung, sich das leisten zu können. Wir ließen uns also sechs Meter Edelstahlrohr liefern und guckten uns das Heck an. Angepasst an unser Boot und unsere Vorstellung ergab das dann einen unfachmännischen, aber stabilen Träger für die Windkraftanlage und 100 Watt Solarpaneele. Dabei half uns Rudi, ein Kumpel der Schweißen kann. Und außer eine kleine Verbrennung an meiner Hand wurde das ganze auch so, wie wir das wollten und konnten. Nicht schön, aber praktisch. 


Es ging jetzt auch an die grundlegenden Sachen. Unsere Fenster, waren hin. Wir lösten die 78 Schrauben, entfernten das brüchige Plexiglas und setzten neue und vor allem dickere Scheiben ein. Auch durch das Sprayhoodfenster konnte man nicht mehr gucken und wir ersetzten es mit einem Kumpel (Johan), der gerade den Beruf „Segelmacher“ bei der Segelwerkstatt Nordost lernt. Dort konnten wir auch zusammen mit Johan und Tipps von seinem Chef eine Sturmfock bauen und eine dritte Reffreihe ins Großsegel einnähen. Auch unsere Doradelüfter modifizierten wir, damit mehr Wasser ablaufen kann und klarierten uns zwei Spibäume (einen repariert, einen selbstgebaut) für das Passatsegeln. 


Es ging auch in den Mast. Alle möglichen Scheuerstellen haben wir abgeklebt und entdeckt, das eine Unterwante erneuert werden musste. Der Rigger, der sich das ansah, empfahl auch gleich ein neues Vorstag. Also wurde uns das erneuert und wir montierten noch ein zweites Fockfall. An Deck spachtelten wir alle möglichen Stellen und versiegelten das Boot mit Unmengen an Sika.   Wir Ölten auch die Fußleiste und das Gräting und langsam wurde unser Schiff richtig schick. Innen bekam das Boot durch Netze mehr Stauraum und wurde nach dem ganzen Elektrik- und Regalarbeiten im Winter erstmal gründlich geputzt und auch das Trinkwassersytem gereinigt.


Wir veranstalteten auch zwei Partys. Die Erste war die Taufe. Wir hatten den großen Namensschriftzug abgeklebt und das Boot, mit vielen Wimpeln und Lichtern geschmückt. Nachdem wir uns Mut angetrunken hatten hielten wir eine kurze Rede, eher um uns zu bedanken und tauften unser Schiff auf den Namen Andiamo. Der Tradition nach besiegelte das eine Jungfrau, ohne rote Haare oder grüne Klamotten, mit ordentlich Sekt. Danach wurde noch bis spät in die Nacht gegrillt. Kurz vor Abfahrt machten wir auch noch eine große Feier, bei mir im Garten. Alle brachten was zu essen und nette kleine Geschenke mit und es wurde lange unter einem großen Code 0  gefeiert.


Nun ging es nach dem Abi „nur“ noch zur Melges24-Europameisterschaft an den Gardasee und dann auch schon ziemlich schnell los. Den 18. August hatten wir uns als Abfahrtstermin gesetzt und sind da auch wirklich losgefahren, trotz aller noch ausstehende Aufgaben. Ganz langsam wurde Stralsund achternaus kleiner und das große Abenteuer begann. ¡Andiamo!

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